„Ich glaube an das Pferd. Das Automobil ist eine vorübergehende Erscheinung.“ Über diese gravierende Fehleinschätzung und dem mangelnden Innovationsgeist von Kaiser Wilhelm II. wird heute nur gelächelt. Aber sind wir so viel besser in der Einschätzung unserer Möglichkeiten und Notwendigkeiten wenn es um Forschung und Entwicklung geht?
Beispiele, die nachdenklich machen sollten: In Deutschland wurden in den vergangenen drei Jahren rund 2 Milliarden Euro Venture Capital in junge Unternehmen investiert. Die beiden neuen Fahrdienste Uber und Lyft aus den USA haben im Vergleich dazu allein in diesem Jahr über 1 Milliarde Euro Wagniskapital erhalten.
Gleichzeitig leisten wir uns eine Schmalband-Debatte über den flächendeckenden Ausbau auf 50 Megabit pro Sekunde. Wenn es darum ginge eine neue Schwerindustrie aufzubauen, wäre das übersetzt eine Diskussion darüber, ob es für die Infrastruktur wirklich Kopfsteinpflaster sein muss oder nicht auch Schotterwege genügen. Beim Thema Breitband hat Deutschland es sich derweil hinter Rumänien bequem gemacht. Wenn das die Industrie 4.0 werden soll, dann haben wir noch einen langen Weg vor uns. Denn derzeit sind wir gefühlt bei 0.4 – unerheblich, ob wir das als Neu- oder Altland ansehen.
Für nahezu jeden hat das Internet – egal ob beruflich oder privat, aktiv oder passiv genutzt – eine existenzielle Bedeutung. Wie kann also so etwas, was so präsent in unserer Lebenswirklichkeit ist, so stiefmütterlich behandelt werden?
Damit sind wir am Kern: Es geht um die Haltung. Und die ist offenbar so starr und unbeweglich wie die von Wilhelm II. auf seinem Pferd. Denn in Wahrheit haben wir gar keine echten Risikokapitalgeber in Deutschland. Bestenfalls haben wir Angstkapitalgeber, meistens aber leider nur Sicherheitssucher. StartUps sind für sie Spielbälle zur Portfolio-Diversifikation. Langweilig. Unaufregend. Und vor allen Dingen sehr unvernünftig.
Kürzlich berichtete ein talentierter Gründer, dass cirka 30 Prozent seiner Zeit alleine für das Reporting und die Kommunikation mit seinen Investoren verloren geht. Das ist kein Einzelfall. Kein Konzern könnte sich das leisten. Die Investoren rauben sich damit selbst aus. Kontrolle erstickt Kreativität. Wenn frisch eingepflanzte Samen ständig ausgegraben werden, um nachzuschauen, ob schon Wurzeln gewachsen sind, werden daraus keine Pflanzen.
Konditionierte Fehlerphobie ist die angezogene Handbremse des sich entfaltenden Gründergeistes. Denn wenn etwas fehlt, wird es gebraucht. Das ist Fehler-Kultur, die uns genau so fehlt, wie die gelebte Unternehmer-Kultur, die diesem Land offensichtlich abhanden gekommen ist. Dabei geht es gar nicht mehr um Chancen oder Potentiale. Das ist schon lange vorbei. Es geht um das Vermögen, welches wir jeden Tag in dieser tranceartigen Beharrungslethargie verlieren. Aufwachen!
Stefan Herbst, Hamburg 2014.